Baukultur ist mehr als drei Fakten – ein notwendiger Kommentar

Unter der Überschrift "Was Baukultur genau ist?" hat das Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMWKMS) vom 25. Juli 2025 in einem Posting drei Aussagen über Baukultur als einfache, vermeintlich einprägsame "Fakten" kommuniziert. So sehr ich es begrüße, dass das Thema überhaupt in die öffentliche Kommunikation rückt, so deutlich muss ich sagen: So reicht das lange nicht. Drei Behauptungen und ein kurzer Begleittext werden dem Begriff Baukultur nicht ansatzweise gerecht. Gerade eine öffentliche Institution, die den Auftrag hat, Diskurse anzustoßen und kulturelle Verantwortung zu übernehmen, sollte tiefer gehen.

Denn Baukultur ist ein vielschichtiges, gesellschaftlich hoch relevantes Thema. Sie ist kein Schlagwort, kein PR-Zuckerl, kein dekoratives Anhängsel von Architektur. Baukultur ist Haltung. Und sie ist die Grundlage dafür, wie wir unsere Räume, unser Zusammenleben und unsere Zukunft gestalten.

Mich selbst begleitet das Thema Baukultur seit vielen Jahren – nicht als abstrakte Theorie, sondern als alltägliche Herausforderung und als Grundhaltung in meiner Arbeit als Architektin. Ich bin nicht zufällig in diesen Beruf geraten, sondern aus einem tiefen Interesse heraus, wie Räume wirken, wie sie Identität stiften oder zerstören können, wie sie Menschen stärken oder ausschließen. Doch über das Funktionale hinaus bedeutet Baukultur für mich auch: Sinn stiften. Räume zu schaffen, die berühren, bewegen, herausfordern. Architektur ist für mich auch ein künstlerischer Akt – ein Dialog mit der Gesellschaft, mit den Bedürfnissen der Menschen, mit ihrer Psyche und ihren Visionen.

Ich sehe Architektur als Forschungsfeld: Wie leben wir zusammen? Was brauchen wir wirklich – emotional, sozial, spirituell? Welche Räume helfen uns, zu wachsen, zu heilen, zu verbinden? Und wie können wir durch Gestaltung zu einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung beitragen?

Diese Fragen treiben mich an. Es geht nicht nur um Häuser, sondern um Haltungen. Um Räume, die Mut machen. Um das Ringen um Qualität in einem Umfeld, das oft auf Effizienz und kurzfristigen Gewinn fokussiert ist. Die Kunst an diesem Beruf ist es, diese Haltung nicht zu verlieren – im Gegenteil: sie mit den Jahren zu vertiefen. Genau deshalb braucht Baukultur Tiefe, Reflexion, Vision. Und genau deshalb dürfen wir uns mit drei hübschen Sätzen nicht zufriedengeben.

Denn Baukultur ist ein vielschichtiges, gesellschaftlich hoch relevantes Thema. Sie ist kein Schlagwort, kein PR-Zuckerl, kein dekoratives Anhängsel von Architektur. Baukultur ist Haltung. Und sie ist die Grundlage dafür, wie wir unsere Räume, unser Zusammenleben und unsere Zukunft gestalten.

Ein Projekt, das mich persönlich stark geprägt hat, war ein CoHousing-Konzept im ländlichen Niederösterreich – lange bevor das Thema in der Breite angekommen war. Wir wollten einen leerstehenden Gasthof mit angeschlossenem Hotel revitalisieren und daraus nicht nur Wohnraum machen, sondern eine Lebensgemeinschaft entwickeln, die den Ort neu definiert. Der ehemalige Veranstaltungssaal sollte wieder bespielt werden – von Menschen, die dort leben, arbeiten, gestalten und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Es ging um mehr als Wohnungen: Es ging um Kultur, um kollektives Denken, um geteilte Zukunft.

Unsere Gesellschaft und Gemeinschaft war leider für diesen Ansatz damals noch nicht bereit. Das Projekt kam so nie zur Umsetzung. Wir scheiterten an unseren Egos. Und doch war es alles andere als vergeblich. Die intensive Auseinandersetzung mit Fragen des Zusammenlebens, mit räumlicher Organisation, mit sozialer Gerechtigkeit und mit Gestaltung als gemeinschaftlichem Akt hat viele von uns verändert. Es hat gezeigt, was Baukultur im besten Sinne leisten kann: Räume denken, die das Miteinander fördern, die offen sind für Vielfalt, für Verantwortung und für neue Ideen des Wohnens – auch wenn diese noch nicht mehrheitsfähig sind. Und es hat eine Arbeit nachhaltig beeinflusst und verändert.

Ganz ähnlich ist es bei einem aktuellen Projekt im ländlichen Tirol: Hier geht es nicht nur um neue Wohnungen oder Pflegeplätze, sondern um ein lebendiges Quartier, das die Lebensrealitäten älterer Menschen ernst nimmt und gleichzeitig ein soziales Miteinander über Generationen hinweg ermöglicht. Es geht um Teilhabe statt Isolation, um Selbstbestimmung im Alter und um ein räumliches Konzept, das Architektur, Gesundheitsversorgung und Nachbarschaft nicht trennt, sondern verbindet. Genau hier zeigt sich, was Baukultur im besten Sinn sein kann: Vorausdenken, Verantwortung übernehmen – und Räume schaffen, die dem Leben gerecht werden.

Solche Projekte entstehen nicht nebenbei. Sie erfordern Aufmerksamkeit, Auseinandersetzung und eine klare Haltung. Für mich beginnt Baukultur genau dort, wo Architektur über reine Zweckmäßigkeit hinausgeht und die Tiefe des Ortes, der Zeit und der Menschen ernst nimmt.

Was Baukultur wirklich ist

Wenn ich über Baukultur spreche, meine ich nicht nur Ästhetik oder Architekturpreise. Ich meine den bewussten, verantwortungsvollen Umgang mit Raum – mit dem, was bereits gebaut ist, und mit dem, was entstehen soll. Baukultur beginnt bei der Art, wie wir über Raum nachdenken, und reicht bis in jedes Detail der Umsetzung: von der Stadtplanung bis zur Fassadengestaltung, von der Materialwahl bis zur Frage, wie sich ein Mensch in einem Raum fühlt – und ob er dort überhaupt willkommen ist.

Sie ist interdisziplinär, politisch, sozial, ästhetisch, ökologisch. Und sie betrifft uns alle – weil sie unsere Lebenswelt prägt, unser tägliches Miteinander, unser Gefühl von Zugehörigkeit.

Baukultur ist niemals neutral. Sie ist Ausdruck von Haltung, von Interessen, von Machtverhältnissen. Wer entscheidet über das, was gebaut wird – und für wen? Wer profitiert, wer wird übersehen? Jede gebaute Struktur erzählt eine Geschichte. Und jede Entscheidung im Planungsprozess ist Teil eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses.

Genau deshalb braucht es Baukultur – als bewusste Praxis, die nicht nur Raum gestaltet, sondern Zusammenleben.

Gestalten statt verwalten

Gute Baukultur beginnt mit dem Gestaltungswillen. Mit dem Mut, Räume nicht nur zu verwalten, sondern bewusst zu formen. Sie verlangt Auseinandersetzung mit Ort, Geschichte, Funktion und Atmosphäre. Sie sucht nach Qualität, nicht nach der billigsten oder schnellsten Lösung.

Dabei geht es nicht nur um das einzelne Gebäude, sondern um das Zusammenspiel von gebautem Raum, menschlichem Verhalten und gesellschaftlichem Kontext. Baukultur denkt in Zusammenhängen. Sie fragt nach dem Charakter eines Ortes, nach Identität, nach langfristiger Nutzung. Sie entzieht sich dem kurzfristigen Verwertungsdenken, das leider weite Teile der Bauwirtschaft dominiert.

Zwei Projekte haben mich über Jahre hinweg begleitet – beide mutig gedacht, tief verwurzelt im Ort, beide ihrer Zeit weit voraus. Leider auch beide gescheitert.

Das erste: ein altes Kloster im Zentrum eines kleinen Ortes. Mit einer Landschaftsarchitektin entwickelte ich ein Konzept, das Arbeit, Erholung, Gemeinschaft und Spiritualität neu verknüpfen wollte. Werkstätten, Ateliers, Gesundheitspraxen und Veranstaltungsräume – aus den stillgelegten Stallungen und Nebengebäuden sollte eine offene, vernetzte Lebenswelt entstehen, mitten im Dorf, offen zum Ort. Das Kloster zeigte sich zwar interessiert, die Gemeinde hingegen blieb passiv – quasi über Nacht wurde alles abgerissen.
Die Chance: verloren.
Verloren ging ein Ort, der Menschen hätte verbinden können. Der Stillstand hätte in Bewegung verwandeln können. Der Raum geschaffen hätte für soziale Verantwortung, regionale Wertschöpfung und kulturelle Lebendigkeit – nicht als Großprojekt, sondern als fein gewebtes Gefüge zwischen Alt und Neu, zwischen Innen und Außen.
Stattdessen: eine Lücke. Und die Erkenntnis, wie zerbrechlich Baukultur sein kann, wenn es an Haltung fehlt.

Das zweite: eine Vision von kreativem, gemeinschaftlichem Wohnen und Arbeiten. Ein altes Hotel, das zum sozialen Raum werden sollte, mit einem belebten Veranstaltungssaal, gemeinschaftlich genutzten Freiräumen, einem Co-Working-Konzept für Künstler:innen, Therapeut:innen, Handwerker:innen. Auch hier: kein politischer Wille, keine institutionelle Unterstützung, kein offenes Ohr. Ich war jung, visionär – vielleicht zu früh, sicher nicht vernetzt genug. Die Idee wurde von einigen belächelt, jedenfalls nie richtig diskutiert.

Und doch: Diese beiden Projekte haben mich geformt. Sie haben mir gezeigt, wie schwer es ist, gegen das reine Verwertungsdenken anzutreten. Und wie wichtig es ist, trotzdem weiter zu gestalten. Denn Baukultur beginnt genau dort: wenn wir den Mut haben, Räume nicht nur funktional zu denken, sondern gesellschaftlich. Wenn wir Räume als Ausdruck einer Haltung begreifen – als Einladung zur Teilhabe, zum Miteinander, zur Zukunft.

Ich gestalte seither anders. Konsequenter, klarer in der Haltung, sensibler im Umgang mit Geschichte und Kontext – und immer mit dem Blick auf das größere Ganze: Was braucht dieser Ort wirklich? Wer lebt hier? Und wie kann ein Raum mehr leisten als das, was in der Baubeschreibung steht?

Die Tiefe der Auseinandersetzung

Gute Baukultur entsteht nicht zwischen Tür und Angel. Sie braucht Zeit, Zuhören, Reibung, Irritation. Sie wächst in Prozessen, in Gesprächen, in Momenten des Zweifelns und Suchens. Ich habe gelernt, dass die besten Ideen nicht im Sitzungssaal oder am Reißbrett entstehen – sondern dort, wo Menschen ehrlich über ihre Bedürfnisse, Ängste und Wünsche sprechen. Dort, wo wir uns trauen zu fragen: Wie wollen wir wirklich leben?

Baukultur braucht eine Kultur des Fragens. Und zwar Fragen, die über das Morgen hinausreichen: Wie wollen wir in zwanzig Jahren leben? Welche Räume brauchen wir dafür? Welche Technologien helfen uns – und wo braucht es handwerkliche, archaische Qualitäten? Was heißt es, Orte zu schaffen, die Bestand haben – ökologisch, sozial und kulturell?

In einer Zeit, in der Ökologie, Demografie und gesellschaftlicher Wandel enorme Anforderungen an unsere gebaute Umwelt stellen, ist oberflächliches Bauen keine Option. Gefragt ist ein Planen mit Weitblick. Eine Auseinandersetzung, die über Normen und Bauvorschriften hinausgeht. Eine Haltung, die Gestaltung als kulturellen Akt versteht – nicht als Dekoration, sondern als Verantwortung.

Ich glaube an die Kraft der Reduktion, an das Denken in Zusammenhängen, an die Sprache von Materialien, Licht, Maß und Proportion. Und ich glaube daran, dass Architektur etwas Heilsames haben kann – wenn sie ehrlich ist, nahbar, durchdacht. Wenn sie sich nicht anbiedert, sondern einlädt. Wenn sie nicht nur beantwortet, sondern neue Fragen stellt.

Gesellschaftliche Verantwortung

Jeder Raum, den wir planen, verändert etwas. Er beeinflusst, wie Menschen sich bewegen, begegnen, leben. Er schafft Möglichkeiten – oder schränkt sie ein. Genau deshalb ist Baukultur für mich immer auch ein gesellschaftlicher Auftrag.

Ich frage mich oft: Wem gehört der Raum? Wer wird mitgedacht – und wer bleibt außen vor? Wer hat Einfluss auf Entscheidungen? Wer profitiert von ihnen? Planung ist nie neutral. Jeder Grundriss, jede Schwelle, jede Blickachse ist ein politischer Akt. Und jede Entscheidung trägt soziale Folgen.

Gute Baukultur schafft Teilhabe. Sie öffnet Räume, statt sie zu kontrollieren. Sie stärkt Nachbarschaften, statt sie zu fragmentieren. Sie macht das Zusammenleben sichtbar – nicht als Konzept, sondern als gelebte Realität. Ich sehe es als meine Verantwortung, dafür Räume zu gestalten, die inklusiv, flexibel und würdevoll sind.

Und ich frage weiter: Wie schaffen wir Orte, die Menschen verbinden – nicht nur funktional, sondern emotional? Wie sieht ein öffentlicher Raum aus, in dem sich Menschen begegnen wollen – nicht müssen? Welche Rolle spielt das Unsichtbare: Atmosphäre, Orientierung, Intuition? Was können wir als Planer:innen beitragen, um Isolation entgegenzuwirken – gerade in einer Gesellschaft, die sich zunehmend individualisiert?

Wenn Baukultur ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nimmt, dann denkt sie nicht nur in Kubatur, sondern in Beziehung. Dann erkennt sie an, dass jeder gebaute Raum auch ein sozialer Raum ist – und dass es unsere Aufgabe ist, diesen mit Sorgfalt und Bewusstsein zu gestalten.

Vorausschauende Planung

Ich sehe es immer wieder: Wir bauen zu oft für das Jetzt. Für Förderprogramme, für Legislaturperioden, für Marktnischen. Aber nicht für die nächste Generation. Dabei wäre genau das unsere Aufgabe: Räume zu schaffen, die bleiben dürfen.

Baukultur verlangt Weitblick. Sie fragt: Welche Lebensmodelle entstehen gerade? Wie verändern sich unsere Familien, unsere Arbeitswelten, unsere Mobilität? Und wie können wir jetzt Strukturen anlegen, die auch in zwanzig oder dreißig Jahren noch tragen – ökologisch, sozial, emotional?

Für mich bedeutet das konkret: Bestand ernst nehmen. Materialien mit Lebenszyklusdenken wählen. Sanierung vor Abriss. Holz, Lehm, ReUse. Und nicht zuletzt: Flexibilität. Räume, die sich verändern dürfen, weil auch die Menschen, die darin leben, sich verändern.

Ich glaube, dass wir als Planer:innen Visionen entwickeln müssen, die über den Bebauungsplan hinausreichen. Die sich nicht darin erschöpfen, was gerade gefördert wird, sondern darin, was wirklich gebraucht wird: klimafitte Städte. Quartiere der Begegnung. Gebäude, die Energie erzeugen statt verbrauchen. Lebensräume, die auch für die Alten, die Einsamen, die Langsamen gedacht sind.

Vorausschauende Planung ist keine Spielwiese für Idealist:innen. Sie ist ein kultureller Imperativ. In Zeiten von Klimakrise, Flächenfraß und sozialer Spaltung können wir es uns nicht leisten, kurzsichtig zu bauen. Und wir können es uns auch nicht leisten, den Anspruch an Zukunft anderen zu überlassen.

Kulturelle Verantwortung

Ich glaube fest daran: Bauen ist mehr als Technik. Es ist Kultur. Es ist ein Ausdruck dessen, wie wir als Gesellschaft leben – oder leben wollen. Jeder Baukörper, jede Platzgestaltung, jede Gasse ist ein Zeichen. Und jedes Zeichen ist lesbar. Für heute – und für morgen.

Wenn wir Kultur ernst nehmen, müssen wir auch das Bauen ernst nehmen. Nicht nur als wirtschaftliche Maßnahme oder infrastrukturelle Notwendigkeit, sondern als kulturelle Handlung. Architektur ist Sprache. Sie spricht über Macht und Freiheit, über Zugehörigkeit und Ausschluss, über Geschichte und Hoffnung. Und sie spricht – ob wir es wollen oder nicht – immer auch über uns selbst.

Ich habe in meiner Arbeit oft erlebt, wie widersprüchlich mit dieser kulturellen Verantwortung umgegangen wird. Da wird Denkmalschutz mit Vehemenz durchgesetzt – an Stellen, wo er vor allem Bürokratie produziert. Und gleichzeitig gibt es Orte von wirklichem Wert, von Geschichte, von erzählender Tiefe – und niemand schützt sie. Meine zwei Herzensprojekte von oben sind u.a. auch an diesem Missverhältnis gescheitert. Das alte Klosterensemble, die Stallungen, das Waschhaus – alles abgerissen, aus reinem Kalkül. Der alte Gasthof mit Veranstaltungssaal – plattgemacht, weil der Bauträger das Projekt ohne den Altbau wirtschaftlicher darstellen konnte. Wo war der Schutz da? Wo die Verantwortung für das kulturelle Gedächtnis eines Ortes?

Kulturelle Verantwortung heißt für mich: genau hinsehen. Nicht alles zu glätten. Nicht alles zu beschleunigen. Nicht alles zu standardisieren. Sondern Räume zu schaffen, die Charakter haben. Ecken, Kanten, Tiefe. Die ein Bewusstsein vermitteln für das, was vorher war – und die gleichzeitig Mut machen für das, was kommen kann.

Denn Baukultur ist nicht neutral. Sie kann dämpfen oder verstärken. Erinnern oder verdrängen. Und wenn wir sie als kulturelle Praxis begreifen, dann liegt in ihr auch die Kraft, gesellschaftliche Prozesse zu begleiten, mitzugestalten, manchmal sogar zu heilen.

Der höhere Sinn von Gestaltung

Ich glaube, dass Gestaltung mehr kann, als nur Lösungen bieten. Sie kann Frieden stiften – im Außen, im Miteinander, im Raum zwischen uns. Sie kann verbinden, was getrennt ist: Generationen, Nachbarn, Vergangenheit und Zukunft. Für mich liegt genau darin der höhere Sinn von Gestaltung.

Ein gut gestalteter Raum vermittelt Würde und Respekt. Er achtet auf die, die ihn nutzen, ohne sie zu bevormunden. Er schafft Orientierung, ohne einzuengen. Er lädt ein, ohne sich aufzudrängen. Wenn Architektur gelingt, dann trägt sie zum Gemeinwohl bei – leise, aber spürbar.

Ich sehe meine Verantwortung darin, Räume zu schaffen, die heilsam wirken können: für das Klima, für das Zusammenleben, für Menschen in ihrer ganzen Verletzlichkeit. Räume, in denen sich Gegensätze nicht bekämpfen, sondern nebeneinander bestehen dürfen. Räume, die still machen – nicht stumm.

Natürlich liegt die Verantwortung für inneren Frieden nicht im Raum selbst. Sie liegt in uns. Architektur kann inneren Frieden nicht erzwingen. Aber sie kann ihn vorbereiten. Sie kann ermöglichen, was der Mensch selbst vollziehen muss. Gute Gestaltung schafft die Bedingungen für Begegnung, für Ruhe, für Würde. Was daraus entsteht, liegt in den Händen derer, die den Raum nutzen.

Gestaltung ist für mich ein kultureller, sozialer und politischer Akt. Sie ist nie neutral. Sie kann aufwerten oder entwerten, öffnen oder ausschließen. Und sie ist immer Teil eines größeren Zusammenhangs: Was bedeutet dieser Ort? Wer wird gehört? Und was braucht es, damit Menschen hier nicht nur wohnen, sondern sich zugehörig fühlen?

Der höhere Sinn von Gestaltung liegt für mich nicht in Kontrolle oder Perfektion. Sondern in der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – für das, was Räume mit Menschen machen können. Ich kann nicht bestimmen, wie jemand einen Raum erlebt. Aber ich kann dafür sorgen, dass er ernst genommen wird. Dass er würdevoll gedacht ist. Dass er offen bleibt.

Und genau darum geht es: Baukultur ist gelebte Würde im Raum.

Schluss

Baukultur ist kein Schlagwort und keine Disziplin für wenige. Sie ist eine Haltung. Eine Sprache, die jeder Mensch versteht – weil jeder Mensch im Raum lebt.

Was wir bauen – und was wir nicht bauen – entscheidet mit darüber, wie wir als Gesellschaft zusammenleben. Ob wir Teilhabe ermöglichen oder ausschließen. Ob wir Ressourcen verschwenden oder pflegen. Ob wir Orte hinterlassen, die tragen – oder nur Volumen, die vergehen.

Ich schreibe diesen Text, weil ich überzeugt bin: Es reicht nicht, über Baukultur zu sprechen. Wir müssen sie leben. In der Planung. In der Politik. In der Bildung. Im Alltag.

Und wir müssen uns trauen, mehr zu fordern – mehr Tiefe, mehr Dialog, mehr Sinn. Denn Baukultur ist nicht das Sahnehäubchen am Ende eines Bauprojekts. Sie ist das Fundament.

Sie ist das, was bleibt.

Es ist Zeit für eine ehrliche Debatte.

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